top of page

Und wenn China Taiwan angreift?

  • Autorenbild: Talartante
    Talartante
  • 22. Juni 2022
  • 3 Min. Lesezeit

“Was würdest du denn jetzt sagen? Waffenlieferungen an die Ukraine ja oder nein?”, fragt Paul. Meine ausweichende Antwort, dass für mich die Fragen, wie Frieden erreicht werden kann und ob das durch Waffen überhaupt -nachhaltig- möglich ist, zuerst noch beantwortet werden müssten, lässt er nicht gelten.

ree

Ich blättere durch den Gemeindebrief und entdecke die hier abgebildete Seite. Ich frage nach, was es damit auf sich hat. "Oh, wir haben ein Poster entworfen, für die Veranstaltung, die du jetzt immer Dienstags halten wirst!"


Es ist Dienstagabend, zum “Tandem” sind heute 10 Leute zwischen 18 und 73 Jahren gekommen. Tandem heißt das Format, dass ich in meiner Gastgemeinde relativ frei im Rahmen eines Kultur- und Sprachaustausches gestalten kann. Nachdem wir heute über das politische System in Deutschland gesprochen hatten, gab ich die relativ provokante und zu kurz gegriffene Frage nach den Waffenlieferungen als Beispiel eines aktuell debattierten Themas in Deutschland, in die Runde. Die Teilnehmenden, die sich äußerten waren sich einig: Ja. Auf jeden Fall.

“Warum?”, frage ich.

“Weil Russland die Ukraine einfach so angegriffen, ja überfallen hat.”

“Weil wir, wenn wir von China angegriffen werden, auch Unterstützung brauchen.”

Und jetzt fragt Paul mich. Meine Antwort - ein deutliches jain. Er sieht mich verständnislos an. Wird ganz still. Dann blickt er mir in die Augen: “Aber wenn China Taiwan versucht zu annektieren - würdest du uns dann auch nicht unterstützen?”

“Das Dilemma ist dasselbe.”, sage ich.

Paul bleibt zwar ruhig auf seinem Stuhl sitzen, dennoch habe ich seit ich hier bin noch nie einen Menschen aufgebrachter erlebt, als ihn jetzt.

Wir beenden das Tandem. Stellen die Stühle und Tische zurück.

Paul geht, hält die Verabschiedung kürzer als sonst. Eine Gruppe von vier jungen Erwachsenen unterhält sich angeregt in einer Ecke. Der Stuhlkreis war wohl nicht der richtige Ort, um die Frage ausführlich zu diskutieren.


“Sarah, die Frage ist ja eigentlich viel komplexer, als wie du sie gestellt hast.”

Da gebe ich Joshua, einem der jungen Erwachsenen, recht. Den Zweck, darüber nachzudenken, hat sie dennoch oder gerade deswegen erfüllt. Er und die anderen drei sind von meiner Haltung weder überrascht noch schockiert.

“Das ist die Realität, mit der Taiwan umgehen muss”, meint Alex. “Viele Nationen wollen sich mit China nicht anlegen.” Im Falle eines Überfalls hoffe er auf Sanktionen der Europäischen Nationen gegenüber China. Militärische Hilfe verspricht er sich von den USA.

“Weil China eine große Bedrohung für unsere Selbstbestimmung ist, setzt die Taiwanische Politik so viel auf internationale Beziehungen.”, meint Alex weiter. Das geschieht auf ganz vielfältige Weise. Ich habe hier einige Student*innen aus Europa getroffen, die in Taiwan Mandarin lernen. Die Unis vergeben recht freizügig Stipendien, für ausländische Studierende, die dich dazu entscheiden, in Taiwan die Sprache zu lernen.


Politisch ist es schwierig. Taiwan ist kein Mitglied der UN und somit auch nicht der WHO. Das hielt Taiwan nicht davon ab, im vorgegebenen Rahmen so gut es geht präsent zu sein und den anderen Nationen beizustehen: Am Beginn der Pandemie reagierte Taiwan blitzschnell und wurde dank einer flott zusammengestellten Mask-Force binnen zweier Monate zum drittgrößten Masken-Produzent weltweit und spendete insgesamt etwa 16 Millionen Masken nach Europa und die USA.

Wirtschaftlich hat sich das kleine Land - zumindest für den Moment - schier unersetzbar gemacht: Zum Beispiel durch die Herstellung von Halbleiterprodukten der TSMC, Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, dem weltweit drittgrößten Halbleiterhersteller und der weltweit größte unabhängige Auftragsfertiger für die kleinen Teilchen, die in jedem Handy, Computer etc. verbaut werden.


Ob das China davon abhalten wird, Taiwan anzugreifen?

“Zunächst ja”, schätzen oder hoffen meine Gesprächspartner*innen zumindest.

Aber irgendwann wird China angreifen. Davon gehen die meisten Leute hier aus. Die bange Frage, die Paul mir heute stellte, beschäftigt meinem Eindruck nach viele Taiwaner*innen: Und wie wird die Welt reagieren? Wird sie uns beistehen?


 
 
 

Kommentare


© 2023 by NOMAD ON THE ROAD. Proudly created with Wix.com

bottom of page