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Abschied in drei Etappen - kirchliche Bestattungen in Tainan

  • Autorenbild: Talartante
    Talartante
  • 26. Mai 2022
  • 5 Min. Lesezeit

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Etappe 1: Das Verschließen des Sarges


Das Wohngebiet liegt etwa 15 Minuten mit dem Auto östlich der Kirche. Zu sechst sitzen wir im Auto, der Vikar, die Frau des Pastors, der Vorsitzende des Kirchengemeinderates und zwei Frauen, die die ganze Autofahrt über singen. Vor uns das Auto des Pastors. An einer kleinen Straßenkreuzung steht ein auffälliges Blumengesteck. Wir sind da. In den Blumen steckt in rotes Schild, der Vikar übersetzt für mich: Der Trauerfall wird bekannt gegeben, mit dem Wunsch, dass der Verstorbene in Gottes Gnade aufgenommen würde.

Wir stellen das Auto ab und gehen die schmale Gasse entlang. Die Häuser sind etwa 3-Stockwerke hoch und sehr schmal, wie es in Tainan üblich zu sein scheint. Ihnen ist eine Art Garage vorgebaut. Eine Garage in der Reihe ist mit Blumen geschmückt in rosa und rot. Und überall die kleinen roten Schilder mit Wünschen für den Verstorbenen. Die Tochter des Verstorbenen begrüßt uns. Plastikstühle werden auf der Straße vor der Garage aufgestellt. Unter dem Vordach ist ein Keyboard und eine kleine Mikrofon-Anlage aufgebaut. Die Tür in Haus ist geöffnet. Von meinem Platz erkenne ich an der Wand eine große Friedenstaube. Als wir gegen 9 Uhr ungefähr 20 Leute sind, beginnt die Zeremonie mit Musik. Die beiden Frauen aus dem Auto übernehmen die Musik und die Liturgie. Der Pastor hält eine kurze Ansprache. Leider verstehe ich nichts. Auf dem Liedblatt kann ich lediglich erkennen, dass auch hier bei der Bestattung Psalm 23 gebetet wird.

Kurz nach der Predigt stehen alle auf, nacheinander gehen wir durch die Tür, durch die die Friedenstaube schaut. Dort sind viele, viele Blumen und in deren Zentrum der geöffnete Sarg. Alle bekommen ein paar lila Orchideenblüten in die Hand, nacheinander verabschieden wir uns am Sarg, legen die die Blüten auf den gut zugedeckten, friedlich und befremdlich aussehenden verstorbenen. Wir warten draußen, solange der Sarg verschlossen wird. Wir bekommen ein Handtuch in die Hand gedrückt. “For Tears”, für Tränen, flüstert mir Joan, die Frau des Pastors, zu. Klar - er hat ja auch das Handtuch geworfen...

Der kleine Transporter wirkt in der schmalen Straße riesig. Rückwärts fährt er vor die Garage, der Sarg wird eingeladen. Die Trauergesellschaft verstreut sich. Auch wir steigen wieder ins Auto.


Etappe 2: Am Krematorium


Diesmal endet die Fahrt am Krematorium. Wir sind die ersten und warten auf den Rest. Die meisten Menschen, die ich hier auf dem geräumigen Parkplatz sehe, tragen schwarz. Immer wieder sehe ich leuchtend aprikosenfarbene Gewänder, vermutlich das “Kultische Personal” buddhistischer Trauergesellschaften. Das gibt mir Gelegenheit die Gegend etwas zu erkunden. Zögerlich zwar, alle anderen sind sehr betreten und würdevoll, ich möchte nicht als Bestattungs-Touristin wirken und mache, wenn ich mich traue, nur heimlich Fotos.

Das Krematorium ist (natürlich) interreligiös, die Leichenwägen sind ein Abbild der religiösen Diversität, die in diesem Land herrscht. Die Buddhistischen Vehikel zur letzten Ruhestätte (oder die, die ich für Buddhistisch halte,) haben eine große Buddha-Figur und mindestens zwei weitere, kleine Statuen auf dem Dach. Einige ziert ein großes Rad auf, wie ich es ebenfalls dem Buddhismus zuordnen würde. Auch andere Gottheiten finden sich auf Auto-Dächern, ich nehme an, damit werden Menschen taoistischen Glaubens transportiert.

Da kommt, der kleine weiße Transporter auf den wir warten. Seine Stoßstange zieren Blumen, in deren Mitte ein Foto der verstorbenen Person angebracht ist. Wir folgen den Bestattern in eine große Halle. Wir stehen vor der Nummer 5, die mittig an einer langen Bank angebracht ist, deren Zahlen bis 10 reichen. Der Sarg wird von hinten an die Bank herangeschoben, auf unserer Seite wird ein weißes Kreuz mit Blumen aufgestellt, über dem Kreuz und vor dem Sarg steht das Foto des verstorbenen. Der Vikar spricht ein Gebet, gemeinsam singen wir “Amazing Grace” auf taiwanisch. Nach einer tiefen Verneigung vor dem Sarg verabschieden wir uns.



Etappe 1a: Der Bestattungspark


Dass der Bestattungsgottesdienst im bzw. am Haus des Verstorbenen stattfindet, ist heutzutage die Ausnahme, erklärt mir der Pastor. Nur zwei Tage später habe ich Gelegenheit, auf eine konventionellere Bestattung mitzukommen.

Ganz in der Nähe des Krematoriums gibt es auf einem staatlich ausgewiesenen Areal eine Art Bestattungspark. Wie Reihenhäuser, sind hier Bestattungssäle aneinander gebaut. Je nach Religion variiert die Dekoration. Mal sind viele Laternen zu sehen, die vermutlich viele mit “China-Town” assoziieren würden. Vor anderen sind kleine Öfen oder Feuerschalen, die bereitstehen, um “Geistergeld” zu verbrennen. In manchen sehe ich ein Meer von Blumen, vor dem ein Tisch, wie ein kleiner Altar aufgebaut ist, um Opfergaben, vor allem Essen, darzubringen. Zum Teil zeigen LED-Leuchtanzeigen an, wessen Trauerfeier im Raum gerade stattfindet. Wieder sind Zeremonie-Meisterinnen in leuchtenden aprikosenfarbenen Gewändern zu sehen, andere mit bunten Stickereien auf dem Gewand.





Dagegen wirkt der Raum, in dem der Verstorbene aus der Gemeinde aufgebahrt ist, sehr schlicht. Um den offenen Sarg, vor dem ein mit Blumen geschmücktes Kreuz steht, setzt sich die Trauergesellschaft auf Plastikhocker. Der Kirchenvorstand eröffnet die Zeremonie, der Pastor predigt. Von draußen hören wir das klingeln kleiner Glöckchen von einer anderen Zeremonie. Wieder legen alle eine lilafarbene Orchideenblüte auf den Verstorbene, Handtücher werden verteilt. Der Deckel des Sarges wird hereingebracht und vor unser aller Augen verschlossen. Die Tochter des hoch betagten Verstorbenen bricht in Tränen aus. Der Sarg wird in den weißen Transporter verladen.



Etappe 2a: Diesmal vor der Nummer 2


Wir treffen uns wieder am Krematorium. Diesmal stehen wir vor der Nummer zwei. Beten gemeinsam und singen dem Verstorbenen ein Lied für seinen vorletzten Weg. Unser gesang wird mit dem Handy gefilmt, wir haben das Interesse der Teilnehmerin einer anderen Trauerfeier, die an Nummer 8 stattfindet, geweckt. Sie ist Teil eines buddhistischen oder taoistischen Rituals, so genau konnte mir niemand Auskunft geben. Die kleinen Glocken, die sich wie Zimbeln anhören, wurden bei deren Ritus recht taktfrei geläutet, einige Menschen knien, manche haben ihr Haupt bedeckt. Es wird ein großer Zweig herein gebracht, eine in Plastik gehüllte Laterne hängt daran. Die Zeremonienmeisterin im orangenen Gewand chanted. Zu gerne würde ich mehr über diese anderen Riten erfahren, leider habe ich bisher noch niemand Auskunftsfähiges getroffen. Das einzige, was ich erfahre ist, dass die traditionellen taiwanischen Bestattungen um einiges teurer sind. Ich vermute, dass das daran liegt, dass den Verstorbenen so viel wie Möglich mitgegeben wird. Die meisten Ahnen werden zu einer Art Gottheit und wenn es diesen gut geht, so geht es auch den Hinterbliebenen gut. Aber das ist bisher nur Spekulation.


Wir unsererseits verbeugen uns noch einmal tief vor dem Verstorbenen und verlassen die Halle. Um 13.10 Uhr treffen wir uns für den dritten und letzten Teil dieser wohl recht regulären taiwanisch-christlichen Bestattung.


Letzte Etappe.


Müsste ich raten und hätte ich die Kreuze nicht gesehen, hätte ich geschätzt, dass wir vor einer Bank halten. Keine Bank, es ist ein sehr Platz sparender Friedhof.

Im vierten Stock werden wir bereits erwartet. Gegenüber des Aufzugs steht die Urne. Die Stellwand rechts von ihr bietet die Möglichkeit, letzte Briefe und Nachrichten an den Verstorbenen anzupinnen. An Ort und stelle, zwischen Aufzug und Urne, beten und singen wir. Dann tragen wir die Urne an ihren endgültigen Platz.

Der Raum ist durchzogen von Deckenhohen Regalen, durch schmale hohe Gänge voneinander getrennt. Jedes Regalfach hat eine nahezu quadratischen Tür, an der Name, zum Teil ein QR-Code, ab und zu ein Foto der Person, die die Asche einst war, angebracht sind. Im hinteren Ende des Raumes findet der Verstorbene im obersten Regalfach seine letzte Ruhestätte, neben seiner vor einigen Jahren verstorbenen Frau. Die Grabfächer ganz oben und ganz unten sind günstiger, als die auf Augenhöhe. Eine Bestattung hier ist kostspielig: Mindestens 50 000 NTD, etwa 1600 € kostet sozusagen das Basis-Paket. Nach oben sind die Grenzen offen. Fast schon symbolisch in Bezug auf diese Angelegenheit…

Die Enkelkinder werfen noch einen Blick durch das Türchen, dann wird sie verschlossen. Der Blick durch’s Fenster fällt auf eine Grünfläche, auf der halbrunde, Knie-Hohe Steindenkmale aufgebaut sind. Sie sehen alt aus. Vielleicht ein altes Gräberfeld? Der Pastor weiß es leider auch nicht so genau. Der Ausblick ist auf jeden Fall schön.

Wir beten. Dann kehren wir zurück in den Alltag.




 
 
 

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