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Von Hirten und Schafen

  • Autorenbild: Talartante
    Talartante
  • 13. Sept. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Je mehr ich über den Konflikt, in den ich mit meinem Mentor geraten bin, nachdenke, desto deutlicher wird mir mein Fehler: Ich bin einfach kein Schaf.

Dazu kommen die über zwei Jahre Hirt*innen-Training, die ich absolviert habe, bevor ich herkam.

Meine Erwartungen an die Beziehung zu meinem Mentor waren der Austausch von Informationen und Terminen, aber auch der Austausch von Ideen, die meine Zeit hier anbelangten und theologischer Ansichten. Ein gemeinsames Überlegen, was wir aus meiner Zeit hier machen könnten, damit ich etwas lernen kann und damit auch die Gemeinde vor Ort etwas von meinem Besuch hier hat. Natürlich habe ich mir meine Gedanken und Pläne gemacht - in Abstimmung mit meinen regelmäßigen Aufgaben in der Gemeinde. In Berlin war ich damit ganz gut gefahren.

Nur: Ein Hirte bespricht die Route nur selten mit einem Schaf. Der Hirte muss sich nicht mit dem Schaf unterhalten, sich mit ihm besprechen. Der Hirte lernt nichts vom Schaf, denn er weiß ja schon alles. Der Hirte sagt, wo es weiter hin gehen soll und die Schafe folgen. Um die Bockigen unter ihnen kümmern sich schon die Schäferhunde und an den verlorenen Schafen kann der Hirte zeigen, wie großherzig er ist. Die Gefahr, die von den eigensinnigen Schafen ausgeht, ist die, dass andere Schafe auf die Idee kommen könnten, zu folgen. Dem muss natürlich mit starker Hand Einhalt geboten werden.


Der Konflikt mit meinem Mentor hat viele Schichten. Da ist zum Beispiel die Sprache. Ich verständige mich auf Englisch, laut Selbstauskunft ist sein Englisch gut. Mein Mandarin kann zwar mittlerweile Smalltalk, ist aber weit davon entfernt, unmissverständliche Absprachen treffen zu können. Ich glaube, in den wenigen Momenten, in denen wir miteinander gesprochen haben, hat er mich oft nicht verstanden. Eine Übersetzungs-App zur Hilfe zu nehmen oder nochmal nachzufragen - das kommt für ihn nicht in Frage, das würde die Rollen und Positionen in diesem durch und durch hierarchischen System durcheinander bringen. Und ich habe zu spät bemerkt, dass er mich nicht so versteht, wie er vorgab und sich vermutlich in Gesprächen mit mir unterlegen fühlte.

Und da ist zum Beispiel die Kommunikation. Hier wird sehr indirekt kommuniziert. Das erfordert Wissen über den Kontext. Das ich leider nicht habe. Deswegen frage ich nach - denn wer nicht fragt, bleibt dumm. Aber dann ist da die Hierarchie. Es kann nicht einfach jede*r meine Frage beantworten. Mit vielen Fragen wurde ich weiter zum Pfarrer geschickt, weil er in der Position gewesen wäre, mir die erfragte Auskunft zu geben. Nur leider war der ja nicht sonderlich responsiv.

Ich bin eine Vikarin mit vielen Fragen. “Frage” und “Problem” teilen sich auf Mandarin dasselbe Wort. In diesem Sinne war ich dann wohl auch eine Vikarin mit vielen Problemen.


Und dann ist da natürlich die post-koloniale Perspektive. Ich komme als weiße Frau aus dem Westen nach Taiwan, um hier ein Jahr meine Ausbildung zu verlängern. Um der Ökumene willen, aus Neugier, aus dem Gedanken der weltweiten Christ*innenheit heraus, aber eben auch, weil ich es mir leisten kann.

Andererseits bin ich als junge Frau (abermals) in einer männlich dominierten Kirche gelandet. Der Pfarrer als mein Mentor steht in der Hierarchie über mir und meine Anliegen galten ausschließlich der sinnvollen Gestaltung meiner Zeit in seiner Gemeinde.


Eine kultur-sensible Einordnung dieses Konfliktes fällt mir offensichtlich schwer.


Die letzten Wochen in der Gemeinde waren ziemlich ätzend. Im Büro wurde ich aktiv ausgeschlossen, das einzige Zeichen in meine Richtung war allenfalls ein Kopfschütteln. Kein schönes Gefühl. Die Hierarchie bzw. die Loyalität zum Hirten scheint in dieser Gemeinde gut zu funktionieren. Barmherzigkeit und Gnade eher nicht so.


Sonntags verabschiedete ich mich von den Kindern im Sonntags-Tandem, dienstags von den “großen” Tandem Teilnehmenden. Bibelverse und Segenswünsche gab ich mit auf den Weg und bekam im Gegenzug E-Mail-Adressen und Telefonnummern, um in Kontakt zu bleiben.

Für die letzte Mitarbeitendenbesprechung hatte ich Lose vorbereitet, auf die jeweils ein Bibelvers geschrieben war. Jede*r sollte zum Abschied einen ziehen, als kleiner Begleiter und als Erinnerung an unsere Begegnung. Neugierig wurden die Lose gezogen und gelesen. Ein kurzes Gespräch entspann sich auf Mandarin, der Pfarrer machte einen Witz - das merkte ich daran, dass alle anderen lachten.

Ich bedankte mich, niemand sah mich an.

“Auf Wiedersehen”, sagte ich. “Ok.”, höre ich von irgendjemandem, niemand schaut in meine Richtung, kichern. Ich blieb noch kurz stehen, blickte in die Runde, in der Hoffnung, dass doch noch jemand “Byebye” sagen würde. Als wäre ich nicht anwesend, geht das Gespräch weiter. Ich ging. Autsch.


 
 
 

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