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Predigt zum 4. Advent

  • Autorenbild: Talartante
    Talartante
  • 16. Dez. 2022
  • 7 Min. Lesezeit

Mittlerweile predige ich hier einmal im Monat in der Tainan International Community Church. Das ist eine freundliche kleine Gruppe, die vor allem aus ausländischen Studierenden aus Indonesien besteht.

Meine letzte Predigt dort ist am kommenden Sonntag. Hier ist Matthäus 1,18-25 dran.


Die Predigt hab ich ausnahmsweise zuerst auf deutsch geschrieben und dann ins Englische übersetzt. Lag vielleicht am Thema.

Die Predigt ist recht feministisch geworden und ich bin mal gespannt, wie sie so ankommen wird.


Hier ist der Predigt-Text in der Übersetzung der Basis-Bibel:


Zur Geburt von Jesus Christus kam es so: Seine Mutter Maria war mit Josef verlobt. Sie hatten noch nicht miteinander geschlafen. Da stellte sich heraus, dass Maria schwanger war – aus dem Heiligen Geist.

Ihr Mann Josef war rechtschaffen und lebte nach Gottes Willen, aber er wollte Maria nicht bloßstellen. Deshalb wollte er sich von ihr trennen, ohne Aufsehen zu erregen. Dazu war er entschlossen.

Doch im Traum erschien ihm ein Engel des Herrn und sagte: »Josef, du Nachkomme Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen. Denn das Kind, das sie erwartet,

ist aus dem Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn zur Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Denn er wird sein Volk retten: Er befreit es von aller Schuld.«

Das alles geschah, damit in Erfüllung ging, was der Herr durch den Propheten gesagt hat:

»Ihr werdet sehen: Die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen.

Dem werden sie den Namen Immanuel geben«, das heißt: Gott ist mit uns.

Josef wachte auf und tat, was ihm der Engel des Herrn befohlen hatte: Er nahm seine Frau zu sich. Aber er schlief nicht mit Maria, bis sie ihren Sohn zur Welt brachte.

Und er gab ihm den Namen Jesus.





Check your Privilege!


Josef, ein rechtschaffener Mann


Josef ist ein rechtschaffener Mann. Und so möchte er auch behandelt werden. Er und Maria sind verlobt, soweit, so ordentlich. Aber wenn sogar schon Matthäus weiß, dass Maria schwanger ist, bevor sie verheiratet waren, wird sich das wohl schon weiter herumgesprochen haben.

Nein, für dumm verkaufen lassen möchte Josef sich nicht. Eine schwangere Maria - zumal nicht von ihm, die will er lieber nicht heiraten.

Er will aus dieser Nummer raus, am Besten, ohne viel Staub aufzuwirbeln.

Das könnte er zwar und es würde ihm nicht mal schaden. Das Gespött und die Missachtung der Leute würden vor allem Maria treffen. Ja, es wäre sogar sein gutes Recht, sie ihrer Untreue öffentlich zu beschuldigen und sie in einem offiziellen Akt zu verlassen. Das Recht stünde auf seiner Seite. Er hat das Privileg.


Aber naja. Er ist nicht so der Typ für’s Rampenlicht. Und irgendwie hat er Maria ja trotzdem noch gern… Auch wenn es ihn vielleicht ein bisschen ärgert, dass sie ihm die Geschichte vom Heiligen Geist auftischt.

Bei ihr bleiben..., Josef überlegt. Eigentlich ja. Maria ist eigentlich eine wirklich tolle Frau. Aber er hat auch Angst davor, was die Leute sagen würden. Als schwach, als unehrenhaft würden sie ihn vielleicht sehen, weil er es nicht geschafft hat, die Frau, die untreu ihm gegenüber war, in die Schranken zu weisen.

Bleiben ist auf jeden Fall keine Option. Und indem er Maria aus dem Verlobungs-Verhältnis entlässt, hätte der echte Vater von Marias Kind die Gelegenheit, das auch rechtlich zu werden, und er hat dann nichts mehr mit der Sache zu tun.

Für Josef scheint es beschlossene Sache.


Hätte Josef sein Vorhaben in die Tat umgesetzt, hätte Josef getan, was als gut und recht galt, Maria hätte alleine dagestanden. Maria, das wissen wir aus den anderen Evangelien, war sehr jung, arm und als schwangere, alleinstehende Frau das schwächste Glied der Gesellschaft.


Der Engel greift ein


Doch zum Glück erscheint Josef im Traum ein Engel, der ihn davon abhält.

Ein Engel, der für Maria Partei ergreift, indem er ihre Version der Geschichte validiert. Sie ist schwanger. Aber sie war nicht untreu. Gott hat seine Finger im Spiel, keine niederen Triebe.


Die ohne Privilegien, wie Maria, sind bis heute auf Engel angewiesen, die für sie Partei ergreifen. Die ihnen Glauben schenken, die ihrer Perspektive Raum und Gehör verschaffen.

Engel, die die mit Privilegien darauf hinweisen, dass sie welche haben, im Gegensatz zu anderen Menschen.

Es braucht Menschen, die die Mächtigen darauf hinweisen, dass sie ihre Macht nicht verdient haben, sondern dass es ungerechte Strukturen sind, die ihre Macht, sowie die Unterdrückung der anderen erhalten.


Das ist mitunter eine sehr schwere Aufgabe. Denn natürlich haben die Mächtigen ganz schön starke Abwehrmechanismen.


Der Engel im Evangelium macht das sehr geschickt: “Hab keine Angst”, sagt er zu Josef. Und ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn jemand viel hat, sei es viel Besitz, oder wie Josef einfach den guten Ruf, ein rechtschaffener Mann zu sein, kommt damit oft die Angst, das, was man hat, zu verlieren, wenn man auf seine Privilegien verzichtet, sie teilt oder sie für die ohne Privilegien einsetzt.


Der Engel schafft es, Josefs Vertrauen zu gewinnen und ihm die Angst zu nehmen. Und so lässt sich Josef umstimmen und bleibt bei Maria.


Sicher, der Engel hatte außerdem noch spezielle Lichteffekte und das Überraschungsmoment auf seiner Seite, was seine Überzeugungsarbeit vermutlich wesentlich erleichtert hat. Außerdem sprach er in einer Sprache, die Josef verstand. Er griff zurück auf die heiligen Schriften, die Josef bekannt waren, an die er glaubte und in denen er sich selbst verortete.


Das ist auch meine Erfahrung als Seelsorgerin: Wenn es in Gesprächen gelingt, die Sprache meines Gegenübers zu finden, kann es gelingen, Angst zu adressieren. Und wenn ein Gespräch über die eigenen Ängste möglich ist, öffnen sich auch oft noch weitere Türen und das Herz.


Josef als Verbündeter


Aber zurück zu Josef.

Er wird vom Engel überzeugt. und bleibt bei Maria.

Das heißt, er verstand sein Privileg und die Macht, die er als Mann und ihr Verlobter über Marias Schicksal hatte.


Das heißt auch, er nutzt das Privileg zu ihrem Besten -

und wir alle wissen, dass es nicht nur zu ihrem Besten ist, sondern auch zum Wohl von Gottes liebevollem Plan für die ganze Welt!


Indem er bei Maria blieb, bin ich mir ziemlich sicher, dass er die normalen Erwartungen an einen Mann herausgefordert hat.

Er bestand nicht auf seiner Ehre. Nicht darauf, Maria "zu besitzen".

Statt mit eiserner Hand zu regieren, ist Josef solidarisch mit Maria.


Und Joseph hört zu. Er hört zu und lernt. Er belehrt weder Maria noch den Engel darüber, was gut und was richtig ist, was ein rechtschaffenes Verhalten ist und was nicht.

Er hört einfach zu, versteht oder versucht es zumindest und erkennt, dass seine Wahrnehmung der Realität nicht die einzige und sicher nicht die einzige ist, die zutreffend ist.


In Anbetracht dessen denke ich, dass wir Josef einen Verbündeten nennen können.

Einen Verbündeten für Mary.

Ein Verbündeter für die Rechte der Frauen.

Ein Verbündeter für Gottes Plan.


Gottes 'normal'

In manchen Auslegungen habe ich gelesen, dass die Textstelle uns zeigt, dass Josef nicht nur rechtschaffen ist, sondern auch gnädig, weil er den Großmut besitzt, Maria nicht zu verlassen.


Als junge Frau, die anstrebt, in einem Männerdominierten Beruf zu arbeiten, die in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft aufgewachsen ist, kann ich diese Perspektive teilweise nachvollziehen. Denn: Ohne “die Guten”, die auf ihr Recht verzichten und die schwächeren, in diesem Fall Frauen, unterstützen sind ja in der Tat irgendwie auf besondere Weise freundlich.


Andererseits kann ich es nicht nachvollziehen. Es geht meines Erachtens nach nicht darum, ob Josef nun einen edlen Charakter hat oder nicht. Es geht um Weihnachten. Es geht darum, dass Gott kommt. Und seit Anbeginn der Christ*innenheit wurden wir Christen und Christinnen nicht müde zu betonen, dass Gottes kommen in die Welt das Ende der bestehenden Ordnung bedeutete. Dass Gott alles umwirft, alles neu und alles anders macht unter dem Maßstab von Gottes endloser Liebe. Die ersten Christ*innen haben versucht, ebenfalls vieles anders zu machen.


Rund 2000 Jahre, nachdem Joseph ein Verbündeter geworden ist, leben wir immer noch in einer Welt, in der es nicht selbstverständlich ist, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden und den gleichen Wert haben.


Wenn Joseph Maria gegenüber loyal ist, wenn Männer ihr Privileg teilen, geht es nicht darum, ob sie edel oder besonders gut sind. Es geht schlicht und ergreifend darum, Gottes Willen zu tun. Dazu gehört die Selbstbestimmung von Frauen, ungeachtet ihrer Lebenssituation zu achten und ihre Gleichberechtigung einzufordern. Dazu gehört es, die eigenen Privilegien nicht zu verneinen, sondern sie zu teilen und im Namen der Liebe Gottes zu nutzen. Das ist nicht besonders nobel, sondern sollte wenigstens in der Kirche normal sein.


Natürlich ist es etwas komplexer. Privilegien betreffen nicht nur Männer und Frauen. Viele Faktoren tragen dazu bei, ob und wie jemand privilegiert ist. Geschlecht, Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit, Klasse, Sexualität, Religion, Behinderung, Gewicht und körperliche Erscheinung, sind zum Beispiel solche Faktoren.

Diese sich überschneidenden und überlappenden sozialen Identitäten können sowohl ermächtigend als auch unterdrückend sein. Oft sehr kontextabhängig.

Einfach gesagt, jeder von uns hat eine einzigartige soziale Identität.

Die meisten hier anwesenden teilen die Erfahrung, als Ausländer*in in Taiwan zu leben.

Ich bin eine Frau und teile diesen Teil meiner sozialen Identität mit ungefähr 75(?)% uns hier im Raum.

Ich bin hier eine Ausländerin, eine Frau, aber ich bin auch weiß.

Diesen Teil meiner sozialen Identität teile ich mit keiner anderen anwesenden Frau.

Das bedeutet, dass sich meine Erfahrung des Alltags in Taiwan wahrscheinlich von der der anderen Frauen hier im Raum unterscheidet, weil ich als Frau, als Ausländerin und als weiß wahrgenommen werde.

Und weiß zu sein ist größtenteils mit Privilegien verbunden.


Das bedeutet, dass jeder von uns in gewisser Weise Privilegien hat und in anderer Hinsicht nicht.

Das ultimative Ziel darin besteht darin, diese Kategorien zu überwinden. Vorerst ist es meines Erachtens wichtig, diese Kategorien sichtbar zu machen. Sie anzusprechen, um Ungleichheiten aufzudecken und auf mehr Gleichheit hinzuarbeiten.


Keine Angst!


Im Advent bereiten wir uns auf Gottes Kommen vor. Und ein Teil dieser Vorbereitung könnte darin bestehen, über unsere Privilegien und Nachteile nachzudenken.


Ich weiß, das braucht Mut. Dafür müssen die Privilegierten die Ängste vor Machtverlust überwinden und auch Benachteiligte müssen Ängste überwinden, denn die Gleichbehandlung bedeutet auch für sie eine große Veränderung.

Fürchte dich nicht!, sagt der Engel zu Josef. Und zu uns. Hab keine Angst. Denn Gott ist mit uns.


Amen.



 
 
 

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