Bonhoeffer und der schwarz-weiß-gelbe Jesus
- Talartante

- 26. Juli 2022
- 3 Min. Lesezeit
Es ist mal wieder Dienstagabend. Heute ist die dritte von drei Sessions zu Dietrich Bonhoeffer. Das Thema hatten sich die Teilnehmenden gewünscht. Ich habe ein paar Folien über den 1945 hingerichteten Pfarrer vorbereitet und hoffe darüber ins Gespräch zu kommen. Back-up-Plan ist das Lied “Von guten Mächten” gemeinsam (auswendig) zu lernen. Das geht immer. Ob diskutiert wird oder nicht finde ich schwerer abzuschätzen.
Das gemeinsame Taizé Lied, mit dem wir jedes Tandem eröffnen, wird richtig laut mitgesungen. Bisher hatte ich eher das Gefühl alleine zu singen.
Die erste Folie zeigt ein Zitat Bonhoeffers vom April 1944. “Ich frage mich, was Christentum und Christus heute überhaupt ist.” So in etwa.
Und prompt kommt die erste Wortmeldung als Reaktion. Der Hausmeister, der nach der ersten Tandem Session beim Pfarrer bemängelt hat, dass wir zu wenig beten, war letzte Woche ziemlich krank im Krankenhaus. Im Krankenhaus ging es ihm schlecht, erzählt er mir und der Runde. Es fiel ihm sogar schwer zu beten oder irgendeine Art von Zuversicht zu fühlen. Am Dienstagabend, im Krankenhaus habe er sich erinnert, dass jetzt Tandem-Zeit sei. Er nahm das Gesangbuch zur Hand (sehr praktisch, wenn man im Krankenhaus der Kirche liegt;) und fand das Lied, das wir immer zu Beginn singen. “Nada te Turbe”, ein Taizé Lied, das in viele Sprachen übersetzt ist, eben auch in Mandarin und Taiwanisch. Den Text habe er sich angesehen und es singen geübt. Und da habe sein Herz auf einmal gewusst: Jesus ist bei ihm. Jesus würde ihn retten. Deswegen würde er auf Bonhoeffers Frage, wer Jesus heute ist, antworten: Unser Retter!
Mit einer Kurzpredigt hatte ich an der Stelle nicht gerechnet, er ist sichtlich bewegt. Die anderen Teilnehmenden klatschen Beifall.
Peter meldet sich zu Wort: “Ich glaube für Bonhoeffer wäre eher Hitler als Jesus der Retter gewesen. Der hätte ihn freisprechen können.”
“Aber dann hätte er sich selbst verraten”, meint Alex. “So wie einige Pastoren während White Terror.” Mit White Terror wird die Zeit von 1948-1992 beschrieben, in der Zivilist*innen in Taiwan politisch durch die herrschende Kuomintang (KMT) unterdrückt wurden. Peter wiegt den Kopf. Er ist still, ob er auch überzeugt ist, weiß ich nicht.

Wir gehen weiter zur nächsten Folie. Diesmal kein Zitat, sondern eine Episode aus Dietrich Bonhoeffers Leben: Als junger Mann studierte er in New York. Freunde nahmen ihn mit in die Kirche in Harlem, einem vorwiegend von Schwarzen bewohnten Viertel in New York City. Dort begegnete Bonhoeffer dem schwarzen Jesus, mit dessen Leiden am Kreuz die Schwarze Gemeinde ihr eigenes Leid, wie die Lynchmorde und andere Unterdrückung identifizierte. Gleichzeitig stand die Auferstehung Jesu für die Hoffnung auf gerechtere Zustände für die Community.
Bonhoeffer begriff den weißen, europäischen Jesus fortan als eine Erfindung weißer Menschen, die das Evangelium dazu nutzen, die eigene Vorherrschaft zu rechtfertigen.
Berührt von dem schwarzen Jesus, versuchte Bonhoeffer Zeit seines Lebens den weißen, unterdrückenden Jesus loszuwerden. Im Zentrum stand für ihn die Verantwortung gegenüber einer gerechteren gesellschaftlichen Ordnung.
Auf der nächsten Folie ist ein Bild eines asiatisch anmutenden Jesus zu sehen. Dazu die Frage, wie denn Jesus hier in Taiwan aussehen und sein müsste.
“Das ist doch quatsch!”, Peter macht eine wegwerfende Handbewegung. “Jesus war der Sohn von Maria, die stammte von David ab, David von Abraham - Jesus war nicht schwarz!”
“Vermutlich nicht”, sage ich. “Wie hat Jesus deiner Meinung nach wohl ausgesehen?”
“Nicht schwarz!”
“Vielleicht eher arabisch?”
Dem stimmt Peter zu.
“Und wie ist Jesus hier in der Kirche abgebildet?”
Schweigen.
“Er sieht eher aus, als wäre er mein Cousin, als der Nachfahre Abrahams und Davids, oder?“
Peter stimmt zu.
“Aber so Bilder sind nicht wichtig! Jesus ist Jesus. Den gibt es nicht in schwarz oder gelb, so ein Blödsinn!”
“Aber der weiße Jesus, der den Tatsachen ebensowenig entspricht ist okay?”
“So wurde er eben schon immer dargestellt. Das sind doch bloß Bilder.”
“Aber Bilder sind sehr wichtig”, meint Sophia.
Ich bin froh, dass sich eine der außer mir vier anwesenden Frauen zu Wort meldet.
“Wir lernen genauso über Bilder wie über Texte. Und wenn wir einen Jesus sehen, der so aussieht wie wir, dann fällt es mir viel leichter zu verstehen, dass Jesus auch für mich gestorben ist. Weil er auch einer von uns ist. Jesus ist alle Farben.”
Hier sind ein paar Fotos von Jesus-Abbildungen, die mir hier bisher begegnet sind. Die mit viel Blau sind die aus meiner Gastkirche.














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