Graues Haar ist wie eine Krone*
- Talartante

- 6. Mai 2022
- 3 Min. Lesezeit
Mit soviel Würde, wie ich mir vorstelle, dass man* eine Krone trägt, so tragen die Senioren und Seniorinnen hier ihr Alter. Drei mal Morgens und einmal Abends treffen sich ältere Menschen für zweieinhalb Stunden in der Gemeinde, um gemeinsam zu singen, zu beten und vor allem um sich fortzubilden. Bei jedem Treffen gibt es einen Vortrag. Manchmal lauschen sie einer Bibelauslegung, oft sind es Vorträge, die das Altern an sich zum Thema haben. Am Mittwoch berichtete ein Jugendlicher über die Lage in Hong Kong, auch das stieß auf Interesse. Die Treffen sind gut besucht, im Schnitt sind 75 Senior*innen da, drei Viertel davon sind Frauen. Um ersten Kontakt aufzubauen, besuche ich die Treffen. Höre ebenfalls zu, auch wenn ich nichts verstehe. Mir wird meistens mit Interesse und Neugier begegnet. Nur wenn ich mich aus Versehen auf den falschen Platz setze, werde ich vehement an einen anderen Tisch verwiesen. - Es gibt eine feste Sitzordnung.
Ich bin froh, dass die meisten die anfängliche Schüchternheit und Skepsis mir gegenüber abgelegt haben und die holprige Kommunikation mit mir nicht mehr scheuen. Ausländerin, Westlerin, eine, die die Sprache nicht spricht und versteht und von der keine*r so genau weiß, was sie hier eigentlich macht - ehrlich gesagt kann ich nur schwer abschätzen, wie ich wahrgenommen werde.
Mittlerweile haben sich die Senior*innen an mich gewöhnt. Einige sogar schon ins Herz geschlossen. Mit Keksen und Trinkflaschen wurde ich die letzten Tage beschenkt. Was es mit dem Schenken hier auf sich hat, bzw. ob und falls ja welche Erwartungen damit verbunden sind, bleibt noch herauszufinden. Die Trinkflaschen rühren wohl daher, dass die Damen nicht mit ansehen konnten oder wohl viel eher wollten, wie ich mittels einer einer einfachen PET-Plastikflasche meinen Durst stille. Jetzt habe ich eine Alu-Flasche - mit integriertem Teesieb - wie alle anderen in der Gruppe. Doshia - Danke!

Eine Frau kommt auf mich zu, ein Wortschwall, der sehr freundlich klingt, ergießt sich über mich. Ich verstehe kein Wort. Fragend und lächelnd blicke ich sie an. Sie wiederholt sich so lange, bis ich meine, eine Ahnung davon zu haben, was sie mir zu sagen versucht und ihr in einem Mix aus Englisch und Mandarin antworte. Nur wenige können einige Fetzen Englisch, aber Schlagworte funktionieren oft ganz gut. Teilweise sind auch Übersetzungs-Apps nützlich, zumindest, wenn es um Mandarin geht. Zu meinem Bedauern ist in dieser Altersgruppe Taiwanisch die Sprache der Wahl. Zu uns beiden gesellt sich eine kleine Gruppe Frauen. Die Älteste von Ihnen fordert mich auf, ihr Alter zu schätzen. Meine Antwort wird gar nicht erst abgewartet. In Worten und mit Handzeichen verrät sie mir, wie lange sie schon auf dieser Erde weilt. “She 88”, übersetzen die anderen Frauen für mich und nicken bedeutungsschwer. Ich weiß nicht so recht, was eine angemessene Reaktion darauf ist und entscheide, mich dem anerkennenden Nicken anzuschließen. Unter der Maske der Ältesten erahne ich ihr stolzes Lächeln.
Ich bin erstaunt, wie aktiv und fit hier viele der Senior*innen sind. Gut, bei meiner Vorstellung, für die ich eine aufwendige Präsentation mit vielen Fotos vorbereitet hatte, schienen die ersten beiden Reihen tief und fest zu schlafen. Aber in den Pausen stehen sie quietschfidel beieinander und plaudern, lachen gemeinsam, dehnen und bewegen sich, probieren an mir ihre Fremdsprachenkenntnisse aus oder wiederholen für mich einzelne Worte auf Taiwanisch, damit ich sie mir (hoffentlich) merken kann. Jeder kleine Schritt, den ich in der neuen Sprache schaffe, wird mit vielen guten Worten belohnt. Sie scheinen sich zu freuen, dass ich mich bemühe.
Eine der anderen Frauen fasst mich am Arm, sie hatte schon davor zu ihrem eigenen Summen hin und her gewiegt. Schwungvoll führt sie mich und sind dazu “Jesus loves me, this I know”, in taiwanischer Übersetzung versteht sich.
Vielleicht könnte ich hier mal eine Art Senior*innen Disko oder etwas Lachyoga anbieten. Beides nicht sehr sprachlastig und im Tun verstehen wir uns ja ganz gut.
Nach der "Senior*nnen Universität", wie sich das Angebot nennt, schwingen sich die Omas und Uromas auf ihre Motorroller und düsen nach Hause. Oder zum nächsten Senior*innenkreis - das würde mich nicht wundern.
*Sprüche 16,31










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