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Helden und die Erinnerungskultur

  • Autorenbild: Talartante
    Talartante
  • 31. Aug. 2022
  • 2 Min. Lesezeit

Die Teilnehmenden des Tandem hatten mich gebeten, einen Input zur Erinnerungskultur in Deutschland vorzubereiten.

So berichtete ich von Gedenktagen und wie sie in Deutschland begangen werden, von Stolpersteinen und Umbenennungen von Straßen nach der Wende.


Als ich die ansonsten sehr gut informierten und gesprächsbereiten Tandem-Teilnehmenden, die, wie beinah alle presbyterianischen Christ*innen aus den urbanen Regionen Taiwans gut gebildet sind, fragte, was und auf welche Weise hierzulande erinnert wird, bekam ich keine Antwort. Das verwunderte mich.


Die kleine Insel hatte in den vergangenen vier Jahrhunderten eine bewegte Geschichte: Nach europäischen und chinesischen Kolonisatoren herrschte ab 1895 Japan über die Insel. Nach dem zweiten Weltkrieg übernahmen die chinesischen Festländer unter Chiang Kai-shek die Herrschaft und änderten systematisch die Namen von Plätzen und Straßen, wie um die (japanische) Vergangenheit der Insel aus zu radieren. Die neuen Namen standen in Verbindung zur Ideologie der Kuomintang (KMT) und dem Konfuzianismus. Der Sohn und Nachfolger Chiang Kai-sheks hob das 1949 ausgerufene Kriegsrecht auf und ließ 1996 freie Präsidentschaftswahlen zu. Der erste Präsident der Democratic Progressive Party benannte 2007 das “Chiang Kai-shek Memorial” um in “Platz der Freiheit”, heute trägt der Platz beide Namen.

Selbst meine Gast-Kirchengemeinde hat vor zwanzig Jahren die geographische Angabe in ihrem Namen um das Gedenken eines der ersten schottischen Missionare auf der Insel erweitert und heißt seitdem “Barclay Gedächtniskirche am Osttor”. An der Umbenennung waren auch Teilnehmer des Tandems beteiligt.

Einiges also, worüber wir hätten ins Gespräch kommen können.

Nun gut. Weiter im Text.





Eine Folie hatte ich noch vorbereitet: Kritik an der Gedenkkultur. Unter anderen zeigte ich das Foto einer mit roter Farbe beschmierten Bismarck-Statue. 2020 hatten Aktivist*innen in Berlin so auf die Einseitigkeit der öffentlich erinnerten Geschichte hingewiesen und die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gefordert.


Auf einmal war die Gruppe hellwach.

“Wie könnt ihr nur Bismarck beschmieren?”, fragte mich Peter, ein Mann um die 70, pikiert. “Er ist doch ein Held!“


Sophia, eine Frau in ihren 40ern nickte zustimmend.

Ich war überrascht. Zum einen, dass Bismarck in Taiwan so bekannt ist, zum andern, dass ausgerechnet eine alte beschmierte Statue die Widerspruchsgeister der Gruppe weckte.

“Habt ihr keinen Respekt vor euren Helden?” fragte Paul, ein pensionierter Pastor.

“Ich denke die Aktivist*innen haben durchaus einen Punkt,”, entgegnete ich und fragte: “Was macht einen Helden denn zum Helden?”

“Ein Held vollbringt große Taten.”, meinte Alex, ein Mittzwanziger, der in dieser Gruppe zwischen Taiwanisch, Mandarin und Englisch übersetzt.

“Er muss zum Beispiel jemanden töten und einen beschützen”, ergänzte Peter.

“Wenn zum Beispiel Xi Jinping Taiwan annektiert. Er würde behaupten, China zu einen. Auf dem Festland würde er wohl als Held gefeiert. Würde er auch für Taiwan, für euch ein Held sein?”, provozierte ich.

Zugegeben, das war fies. Der Staatsbesuch der US-amerikanischen Politikerin Pelosi stand bevor und China übte sich in Drohgebärden - der Gedanke lag nah.

“Nein, natürlich nicht!”, die Gruppe war sich einig.

“Aber Bismarck ist ein Held. Das geht nicht!”, wiederholte sich Paul kopfschüttelnd, auf das an die Wand projizierte Bild der beschmierten Statue zeigend.

Die Diskussion nahm noch ein paar Runden.

Held*innen scheinen mir vor allem eines zu sein: Ansichtssache.

An diesem Punkt kamen wir nicht zusammen. An diesem Abend zumindest nicht.


 
 
 

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