“Taiwan ist was anderes als China”
- Talartante

- 4. Mai 2022
- 3 Min. Lesezeit
Dr. Lo ist mein zweiter Mentor. Er ist Professor für Altes Testament und derzeit auch Dekan am theologischen Seminar in Tainan. Er spricht zwar bedächtig, aber fließend Englisch. Um seinen leisen Humor zu hören, muss man genau hinhören. Ich höre ihm gerne zu - nicht nur, weil ich dann oft schmunzeln muss. Auch, weil ich finde, dass Dr. Lo mit viel Weisheit spricht.
Sein Amt als mein Mentor nimmt er sehr ernst. Er hat einen umfassenden Exkursionsplan aufgestellt. 14 Stationen stehen auf der Agenda mit Lektüreempfehlungen, theologischen Reflexionsfragen zu Themen, die von der Entstehung Taiwans über die Kolonial- und Kirchengeschichte der Insel hin zum gegenwärtigen Verhältnis von China und Taiwan reichen. Ich bin beeindruckt von dem elaborierten Plan und rechne es ihm hoch an, dass er mir so viel seiner Zeit widmet.
Als erstes steht der Besuch im archäologischen Museum auf dem Programm. Das Museum liegt nord-östlich vom Stadtzentrum Tainans, im Wissenschaftspark. Dort sind riesige Tech-Firmen wie TSMC angesiedelt, die unter anderem die weltweit gefragten Halbleiter herstellen.

“Why I brought you here is for two reasons: With a look at history, we will see that Taiwan and China are different. And we will reflect, how God related to the people before there was a bible. And because I have not yet been to this museum.”, sagt Dr. Lo, Letzteres mit einem Augenzwinkern.
Das Engagement für die Selbstbestimmung Taiwans ist fest in die Identität der Presbyterian Church in Taiwan (PCT) eingeschrieben. Dr. Lo, der heute 60 Jahre alt ist, hat das mutige Engagement seiner Kirche für die Demokratisierung Taiwans gegen die Kuomintang (Nationale Volkspartei Chinas), die die Insel bis in die 90er Jahre autoritär regierte, als junger Mann miterlebt. Daher ist es ihm, wie den meisten Taiwanern und Taiwanerinnen, die ich bisher getroffen habe, ein Anliegen zwischen China und Taiwan zu unterscheiden und Taiwan als selbständiges Land anzuerkennen. Zu Recht, würde ich sagen.
Das Museum zeigt, wie Taiwan nach und nach aus dem Pazifik aufgetaucht ist. Geographisch war es nie Teil Chinas. Woher die ersten Bewohner*innen kamen, ist nicht gewiss. Bis heute leben Ureinwohner*innen, die sich 16 unterschiedlichen ethnischen Gruppen zuordnen, auf der Insel. Dazu an anderer Stelle mehr.
Für den Westen entdeckten die Portugiesen im 16. Jahrhundert die Insel, die sie Formosa - Schöne - nannten. Im 17. Jahrhundert siedelten holländische Truppen im Süden der Insel, im heutigen Tainan. Erst dann beginnt die chinesische Migration. Und das ist in etwa der Zeitpunkt, an dem das taiwanesische Gedächtnis beginnt, wenn auch sehr lückenhaft. Viele der Puzzleteile lägen in Holland bzw. Spanien und Portugal, spätere Teile dann auch England und Kanada, sagt Dr. Lo, andere sind noch ganz versunken. In der Geschichte Taiwans gibt es noch viel zu entdecken.

Weil das Museum nur sechs Autominuten von unserer Wohnung entfernt liegt, laden Benni und ich Dr. Lo und Alex zu uns nach Hause ein. Zuvor führt Benni uns noch durch das World Vegetable Center. Dass es ein solches Institut in Taiwan und dann auch noch in Tainan gibt, überrascht die beiden. Sie sind beeindruckt von dem wunderschönen Außengelände und Dr. Lo weiß zu vielen Kräutern im Demo-Garten etwas zu erzählen.

Wir beschließen den Tag mit einem Stück Bananenbrot in unserem Esszimmer.
Krönenden Abschluss kann man es leider nicht nennen, das mit dem Baking-Soda ist etwas daneben gegangen und der ganze Kuchen schmeckt nach Backpulver bzw. Lauge. Mit etwas Anstrengung schmeckt man auch die Banane raus.
Unser Besuch ist zu höflich, um den Kuchen, gar ein zweites oder drittes Stück abzulehnen. Oh je. Der Kaffee “German Style”, wie Dr. Lo den Espresso aus der Bialetti nennt, wird dafür umso großzügiger gelobt.
Bleibt nur noch eine Frage offen: Wie war das denn mit Gott und den Menschen, insbesondere mit Taiwan, bevor es die Bibel gab? Bzw. bevor die Bibel nach Taiwan kam?
Ich rede irgendwas vom muslimischen Zuckerfest, dass am Vortag den Ramadan beendet hatte und vom Ruf des Muezzins zum Gebet: “Gott ist größer”. - Gott ist größer als die Bibel und größer als die von uns Menschen gemachten Kategorien. Deswegen, glaube ich, war Gott auch schon vorher in der Welt und mit und bei den Menschen.
Dr. Lo, der weise Alt-Testamentler, gibt seine Perspektive auf die Frage: Am Anfang, so heißt es ja schon in der Bibel, war nicht die Bibel, sondern erst mal war Chaos und dann war der Himmel und die Erde. “So, I think, Ben, your work may have already more impact for the good of the world than mine will ever have. You are working on feeding people in the future.”, sagt er bescheiden.




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